von Karin Leukefeld: Sagen, wo es langgeht – mit dem deutschen Bundeskanzler

Sagen, wo es langgeht – mit dem deutschen Bundeskanzler

von Karin Leukefeld

Das Setting: Zwei Personen sitzen sich in einem Studio gegenüber, im Hintergrund eine Wand mit einem Landschaftsfoto. Aus dem Kontext geht hervor, die Aufnahme findet am Rande des G-7-Gipfeltreffens in Kanada statt.
Die Handlung: Die rechte Person (im Bild), eine Frau, stellt eine Frage an ihr Gegenüber: «Ist es nicht verlockend, dass die Israeli jetzt die Drecksarbeit machen für ein Regime, das sehr viele in der Welt als einen wirklich grossen Störfaktor wahrnehmen?» Die Frau ist Diana Zimmermann, Leiterin ZDF-Hauptstadtstudio. Die 1971 geborene Journalistin studierte laut ihrer Vita beim ZDF «Vergleichende Literaturwissenschaft, Sinologie und Geschichte an der FU Berlin und in Paris».
Die linke Person (im Bild), ein Mann, antwortet: «Frau Zimmermann, ich bin Ihnen dankbar für den Begriff ‹Drecksarbeit›. Das ist die ‹Drecksarbeit›, die Israel macht, für uns alle. Wir sind von diesem Regime auch betroffen. Dieses Mullah-Regime hat Tod und Zerstörung über die Welt gebracht. Mit Anschlägen, Mord und Totschlag. Mit Hizbullah, mit Hamas, am 7. Oktober ’23 in Israel. Das wäre ohne das Regime in Teheran niemals möglich gewesen. Die Belieferung Russlands mit Drohnen aus Teheran. Ja, ‹Drecksarbeit›, die Israel da gemacht hat. Ich kann nur sagen, grössten Respekt davor, dass die israelische Armee den Mut dafür gehabt hat, die israelische Staatsführung den Mut dazu gehabt hat, das zu machen. Wir hätten sonst möglicherweise Monate und Jahre weiter diesen Terror dieses Regimes gesehen und dann möglicherweise noch mit einer Atomwaffe in der Hand.» Der Mann ist laut Einblendung Friedrich Merz, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Der 1955 geborene Politiker absolvierte ein Studium der Rechtswissenschaften.
Manchmal ist es angesichts solcher Ungeheuerlichkeit erforderlich, Abstand herzustellen. Journalisten können das tun, indem sie beschreiben. Wir sehen also eine Journalistin, die einem Politiker eine Frage stellt, eine alltägliche Situation.
Hier aber geschieht etwas anderes, die zwei Personen sind ein Team und betreiben «hybride Kriegsführung», sie führen einen «Krieg ohne Kampf». Ihr Ziel sind die Köpfe der Leute draussen an den Bildschirmen, wie man so gern in den Studios sagt und damit gleich eine ordentliche Distanz herstellt nach dem Motto: Wir hier drinnen (die das Wissen haben), die da draussen (denen wir die Welt erklären).
Ziel des hybriden Angriffs dieser Journalistin und des deutschen Bundeskanzlers «vor der wunderbaren Kulisse der Rocky Mountains», so die ZDF-Journalistin, sind diejenigen, die an diesem Abend das heute journal am 17. Juni 2025 eingeschaltet haben. Und diejenigen, die anschliessend in zahlreichen Übersetzungen weltweit hören, was der deutsche Bundeskanzler zu sagen hat. Ziel ist, der Öffentlichkeit weltweit Begriffe, Perspektiven, Positionen, Ziele der deutschen Aussenpolitik zu erläutern. «Sagen, wo es langgeht» mit dem deutschen Bundeskanzler.

Thema heute: «Drecksarbeit»

Die Journalistin leitet das Interview mit einer Vorlage für den deutschen Bundeskanzler ein, der diese «dankbar» aufgreift. Seine Ausführungen über die «Drecksarbeit», die Israel «für uns alle» mache, sind ein Lehrstück darüber, wie Rassismus und koloniales imperialistisches Denken fest in den Köpfen der politischen und öffentlichen – in diesem Fall deutschen – Eliten verankert ist.
Den israelischen Angriffskrieg gegen den Iran, den Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser in Gaza und im Westjordanland, die israelischen Angriffe auf Libanon, Syrien und die Besetzung von deren Territorium – die sieben Kriege Israels gegen die Staaten der Region als «Drecksarbeit» zu bezeichnen, kennzeichnen eine Herrschaftsmentalität. Der Blick auf Israel ist der Blick auf einen Angestellten, der «Drecksarbeit» macht. Der Blick auf die Opfer der Kriege sieht in den Betroffenen Abfall und Dreck, mit dem man sich nicht die Hände schmutzig machen will.
Was die ZDF-Journalistin und der deutsche Bundeskanzler hier vorführen, ist reinster Rassismus und Herrenmenschendenken, mit dem Europäer seit dem Mittelalter die Welt unterwerfen wollen. Die Kreuzritter im 12. Jahrhundert, die kolonialen, von Europa ausgehenden Eroberungszüge in Asien, Afrika, Lateinamerika. Die Vernichtung der Red Indians, der ersten Nation, die von europäischen Siedlern ermordet wurden, um auf deren Land die Vereinigten Staaten von Amerika zu errichten. Immer ging es um Ausbeutung der Rohstoffe der Länder, Ausbeutung der Arbeitskraft der Menschen, die in ihren Ländern Kultur, Zivilisation und Regierungsführung nach ihren Vorstellungen entwickelt hatten. Immer ging es um Kontrolle von Häfen, Seewegen und dem, was heute «Transportkorridor» genannt wird.
Und immer hielten sich die europäischen Herrenmenschen für die Krönung der Schöpfung, die allen anderen überlegen und zur Führung der Welt bestimmt waren. Auf den Punkt brachten es die USA mit der Selbstdarstellung, eine aussergewöhnliche, «unverzichtbare Nation» zu sein. «Die Stadt auf dem Hügel», die «das Licht der Freiheit ausstrahlt und die Welt erleuchtet» oder wie die ehemalige US-Aussenminister Madelaine Albright in einem Interview (NBV TV vom 19. Februar 1998) erklärte: «Wenn wir Gewalt einsetzen müssen, dann weil wir Amerika sind. Wir sind die unverzichtbare Nation. Wir stehen aufrecht. Wir sehen weiter in die Zukunft.»1
Und nun also der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz und die Journalistin Diana Zimmermann, die den Zuschauern des ZDF an diesem Tag die Welt erklären. Der völkerrechtswidrige, nicht provozierte Krieg Israels gegen den Iran sei eine «Drecksarbeit», die Regierung und das Land Iran ein «Störfaktor», Deutschland werde vom Iran bedroht, auch durch die (libanesische) Hizbullah und die (palästinensische) Hamas, die mit «diesem Mullah-Regime … Tod und Zerstörung über die Welt gebracht» haben sollen, «mit Anschlägen, Mord und Totschlag». Und dann wird «grösster Respekt» für die israelische Armee und Staatsführung gezollt, dass sie diese «Drecksarbeit» erledigen würden, weil sonst der «Terror dieses Regimes … möglicherweise noch mit einer Atomwaffe in der Hand» jahrelang weitergegangen wäre.
Was beide Akteure dieser Propaganda-Show – der deutsche Bundeskanzler und die ZDF-Journalistin – sicherlich wissen, es aber nicht sagen, ist, dass Iran zum Zeitpunkt des überfallartigen israelischen Angriffs (13.6.2025) mitten in Verhandlungen mit den USA über sein Atompgrogramm war, das von der internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) engmaschig kontrolliert wird. Dass Angriffe auf nukleare Anlagen und zivile Infrastruktur nach dem internationalen und humanitären Recht verboten sind. Dass der Internationale Gerichtshof gegen den Staat Israel, Regierung und Armee wegen Völkermord an den Palästinensern ermittelt. Die UN-Vollversammlung hat mit der Mehrheit der dort versammelten Mitgliedsstaaten Israel mehr als einmal aufgefordert, die seit 1967 Besetzten Palästinensischen Territorien freizugeben und beschlagnahmtes Eigentum zurückzugeben.
Der Bundeskanzler und die Journalisten werden oder sollten – qua Amtes – wissen, dass Hamas und Hizbullah als politische und bewaffnete Befreiungsorganisationen in ihren – politisch und militärisch schwachen – Ländern im Widerstand gegen die israelische Besatzung entstanden sind, und im übrigen sind alle Staaten der Region UN-Mitgliedsstaaten, die die UN-Charta unterschrieben haben. Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind in den von Israel seit 1948 angegriffenen Ländern der Region haben die gleichen Rechte wie diejenigen in Europa und den USA, die meinen, mit Israels «Drecksarbeit» diese «menschlichen Tiere» (Yoav Gallant) beseitigen und sich deren Land aneignen zu können. Jedes Kind in Gaza, jede Arbeiterin im Iran, jeder Bauer in Libanon hat gemäss der UN-Charta die gleichen Rechte wie Friedrich Merz oder Diana Zimmermann.
Dieses Zimmermann/Merz-Team propagiert eine Strategie der Vorherrschaft, wie sie in den USA, der EU und in der Nato allgegenwärtig ist. Diese Strategie basiert auf Rassismus und weissem Vorherrschaftsdenken (white supremacy), sie ist die treibende Kraft des kolonialen US/EU/Nato-Imperialismus, der Kriege braucht, um seine Dominanz weltweit durchzusetzen. «Die Vorherrschaftsstrategie ist tief im kulturellen Erbe der Nato- und EU-Länder verankert», heisst es in einem Artikel über die «Weltweite Vorherrschaft des Westens» in der Schweizer Zeitung Zeit-Fragen.2
Die kriegführenden Parteien Israel und Iran haben Merz verstanden. Die israelische Botschaft in Berlin bedankte sich für «moralische Klarheit».
Das iranische Aussenministerium in Teheran bestellt den deutschen Botschafter ein.3
Und wer zieht um das Bundeskanzleramt und die gläsernen Medienstudios in Berlin eine Rote Linie4, wie es in London, Den Hag und Brüssel geschah?
Müssen die Länder und Gesellschaften, die mit US- und deutschen Waffen und Geld durch Israel verwüstet werden, davon ausgehen, dass sich die Nachfahren von Karl Marx, Hannah Arendt und Albert Einstein in der kolonialen Lebens- und Denkweise der «weissen Vorherrschaft» eingerichtet haben?! •


1 Madeleine Albright, NBV TV Interview, 19. Februar 1998; https://1997-2001.state.gov/statements/1998/980219a.html
2 https://www.zeit-fragen.ch/archiv/2025/nr-12-27-mai-2025/weltweite-vorherrschaft-des-westens-die-linke-die-rechte-und-das-reaktionaere-eu-usa-nato-projekt-gefragt-waere-eine-oeko-soziale-kritik-der-kolonialen-lebensweise
3 https://english.almayadeen.net/news/politics/tehran-summons-swiss–german-envoys-over-hostile-rhetoric
4 https://www.aljazeera.com/news/2025/6/4/pro-palestine-protesters-in-uk-call-for-israel-arms-embargo-sanctions

https://www.zeit-fragen.ch/archiv/2025/nr-14-24-juni-2025/sagen-wo-es-langgeht-mit-dem-deutschen-bundeskanzler

Erstveröffentlichung globalbridge.ch vom 19.6.2025

ISBN 978-3-910568-15-0

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